SSO Campus liefert Tipps auf dem Weg zum «Dentrepreneur»

Katrin Schregenberger
Markus Gubler
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SSO Campus glänzte auch dieses Jahr mit Referaten, die praktische Informationen für den Berufseinstieg brachten. Mehr als 50 junge und angehende Zahnärztinnen und Zahnärzte trafen sich hierfür auf dem Gurten.

Fährt man mit der Bergbahn auf den Gurten, den Hausberg von Bern, öffnet sich der Horizont immer mehr, bis man über die Stadt und darüber hinaus in die Ferne schauen kann. Dass die zweite Ausgabe von SSO Campus dieses Jahr just in der Kulturschür Uptown auf dem Gurten stattfand, passte, denn: Auch hier wurden Horizonte erweitert. Mehr als 50 junge und angehende Zahnärztinnen und Zahnärzte versammelten sich dort, um praktische Tipps abzuholen, sich bei schönstem Sommerwetter auf der Gartenterrasse auszutauschen und zu vernetzen. Eine Referentin und drei Referenten inspirierten durch ihre unterhaltenden Vorträge das junge Publikum.

Apps, die den Alltag in der Praxis erleichtern

Den Anfang machte Professor Andreas Filippi, Leiter der Klinik für Oralchirurgie am Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel: Er sprach über Apps, die jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt kennen sollte. «Wir brauchen das Smartphone im Alltag ständig und überall, weshalb sollten wir es nicht auch in der Klinik verwenden?», fragte er zu Beginn seines Vortrages rhetorisch. Mit 104 Slides in einer halben Stunde bot Filippi ein reiches Bouquet an Inspirationen und App-Vorschlägen.

Zunächst drehte sich alles um Apps, welche im Patientenkontakt den Informationsfluss erleichtern können. Zum Beispiel die Anwendung Embryotox, die Arzneimittelinformationen für Schwangere und Stillende enthält: Welche Medikamente dürfen verschrieben werden und welche nicht? Wenn es um sonstige Unverträglichkeiten geht, kann auch die App «What’s in my meds» helfen.

Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte greifen auf kleine Strichmännli-Zeichnungen zurück, wenn sie den Patientinnen und Patienten erklären wollen, wie die Behandlung genau aussehen wird. Der bessere Ersatz für diese Zeichnungen ist die App «Dental Explorer mobile», wo verschiedenste Behandlungen in 3D-Modellen und Videos dargestellt werden. Die Videos sind auch exportierbar – können den Patienten also direkt zugestellt werden. Eher für Zahnärztinnen und Zahnärzte geeignet ist die Anwendung «Dental Panoramic Radiology»: Die App lässt den User üben, was er auf einem OPG sehen kann und stellt ein gutes Training dar. Bei Notfällen kann die interaktive App AcciDent nützlich sein: Sie hilft bei der Befunderhebung. Den Befund kann man dann dem behandelnden Arzt direkt zustellen. Wer wiederum neue Nahttechniken üben will, dem empfahl Andreas Filippi «The Oral Surgery Suture Trainer», der detailgetreu neue Techniken vermittelt. Das Fazit dieses ersten Vortrages: Es gibt bereits unzählige Apps in hoher medizinischer Qualität, auf die auch Zahnärztinnen und Zahnärzte zurückgreifen können.

Technologien verändern Entscheidungen

Filippi übergab das Mikrophon anschliessend Tobias Wolf. Er ist Lehrbeauftragter der Universität St. Gallen und auf die Schnittstelle zwischen Unternehmertum und Gesundheitsbranche spezialisiert. Wolf sprach darüber, was der Rollenwechsel von Zahnarzt zu Unternehmer eigentlich bedeutet. «Unternehmer sein heisst, agil und dynamisch zu sein, also vor allem: neugierig», sagte Wolf. Er griff auf eine Metapher zurück, um die Notwendigkeit für Neugier und Agilität zu verdeutlichen: Jene vom Fischer, der mit den Händen Fische fangen will. Ein Mann will ihm zeigen, wie man Netze knüpft. Der Fischer aber sagt: «Ich habe keine Zeit, ich muss Fische fangen.» Die teuersten sieben Worte der Wirtschaft seien denn auch: «Das haben wir immer schon so gemacht.»

Treiber der wirtschaftlichen Veränderung seien stets neue Technologien und diese werden gerade von erfolgsverwöhnten Unternehmern oft unterschätzt. «Auf die Gesundheitsbranche kommen in den nächsten zehn Jahren viele Herausforderungen und Veränderungen zu», sagte Wolf. Andere Branchen, wie die Musik- oder Filmindustrie, habe der Technologiewandel bereits umgekrempelt. In der Zahnmedizin stehe er noch bevor.

Wolf strich folgende Eigenschaften heraus, die ein Unternehmer oder eine Unternehmerin benötigt, um in den kommenden Jahren erfolgreich zu sein: Es brauche eine grosse Portion Mut und Durchhaltewillen. Dazu eine Vision und Sinnhaftigkeit, um seine Mitarbeitenden motivieren zu können. Ein Unternehmen könne zudem nur funktionieren, wenn man die richtigen, also kompetenten Menschen an Bord habe. Und schliesslich sei Neugier und Lernbereitschaft unabdingbar.

Zu Beginn ist Einzelunternehmen sinnvoll

Das dritte Referat kam von Rechtsanwalt Patrick Mettler, der eine kurze Einführung in die verschiedenen Rechtsformen gab, in die eine Zahnarztpraxis gebettet werden kann. Hier kommen grob gesagt drei Formen in Frage: Ein Einzelunternehmen, eine AG oder eine GmbH. 95 Prozent der Arztpraxen in der Schweiz sind Einzelfirmen.

Für die Gründung einer Einzelfirma braucht es kein Grundkapital, dafür haftet die Person mit ihrem Privatvermögen. Auch ist grundsätzlich kein Handelsregistereintrag notwendig. Bei einem Einzelunternehmen ist der administrative Aufwand also geringer als bei einer AG oder GmbH. Handfeste steuerliche Vorteile bringe eine Einzelfirma gegenüber einer AG oder GmbH aber nicht wirklich, hielt Mettler fest.

Gehe es in Richtung Praxisübergabe, könne es sich jedoch lohnen, rechtzeitig die Einzelfirma in eine GmbH oder AG umzuwandeln, denn dann können einfach die Aktien verkauft werden, was den Übergabeprozess vereinfacht. Auch sei der Gewinn aus einem solchen Verkauf steuerfrei.

Nur Mut

Den Abschluss der Referate machte die junge Zahnärztin Karin Weber, die 2021 eine Zahnarztpraxis übernommen hat. Sie gab konkrete Tipps für die Praxisübernahme und sprach auch darüber, wie der Spagat zwischen Mutterrolle und Unternehmerin gelingt. «Auch ich hatte zu Beginn Respekt davor, eine eigene Praxis zu übernehmen», sagte sie. «Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass man nicht schon alles können muss und es viele gute Menschen gibt, die einem helfen».

Vom ersten Gespräch mit dem vormaligen Praxisinhaber bis zur Praxisübernahme vergingen drei Jahre. Weber betonte, dass der Übergabeprozess Zeit brauche, in rechtlich-administrativer Hinsicht aber auch in menschlicher: «Sowohl für mich als auch für den Vorgänger war das ein emotionaler Prozess.»

Für die Verhandlungen sei eine Praxisschätzung der SSO hilfreich gewesen. Für die Finanzierung habe sie Angebote von verschiedenen Banken eingeholt und sie sei überrascht gewesen, wie unterschiedlich nicht nur die Angebote, sondern auch der Umgang war. Praxiskennzahlen vor der Übernahme einsehen zu können, sei ebenfalls wertvoll gewesen. Ein Treuhänder habe sie hervorragend durch die Übernahme begleitet und ihr auch Mut gemacht. Die Beratungskosten hätten sich so allemal gelohnt.

Dass der ehemalige Praxisinhaber während ihres Schwangerschaftsurlaubs die Vertretung übernehmen konnte, sei ein Glücksfall gewesen und habe bestens funktioniert. Grundsätzlich gelte, wenn die Familiengründung ein Thema ist: Gute Planung ist zentral. Es lohne sich, ein finanzielles Polster aufzubauen und die Kinderbetreuung gut zu organisieren. Dass sie einen Partner habe, der seine Vaterrolle sehr ernst nehme und viel Zeit dafür aufwende, trage ebenfalls zur Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben bei.

Alle vier Referierenden mischten sich anschliessend unter die Teilnehmenden – darunter auch Mitglieder des SSO-Zentralvorstandes – und bei Trunk, Apéro und Grill wurden Ideen gesponnen, Fragen geklärt und vielleicht sogar Allianzen geschmiedet, die eines Tages Früchte tragen werden. Der strahlende Sonnenschein und die gemütliche Atmosphäre trugen das ihre dazu bei. Das inoffizielle Ende von SSO Campus 2022 bildete die Verlosung von fünf Boom-Boxen durch Straumann, den exklusiven Sponsor von SSO Campus. Bei der Fahrt wieder hinab in die Stadt Bern mögen dem einen oder anderen Teilnehmer neue Ideen und Zukunftswünsche durch den Kopf gegangen sein. Die Tipps dafür nahm er jedenfalls mit nach unten.