ALLA PANORAMICA

Erfahrungen und Tipps zum Umgang mit betagten Menschen

Laura Annasohn
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SSO Wissen Betagte Menschen in der Praxis

Im Zuge des demografischen Wandels wird die Versorgung betagter Menschen zu einer immer wichtigeren Aufgabe für Zahnmediziner. Dabei stellen sich besondere Herausforderungen für den Behandler und das Team. Bettina von Ziegler, Allgemeinzahnärztin und SSO-Verantwortliche für Alterszahnmedizin, sowie Tina Utzinger-Rentsch, Allgemeinzahnärztin unter anderem in Pflegeeinrichtungen, den Berufsalltag mit alten und kranken Patienten.

Frau Utzinger-Rentsch, Sie haben sich in Ihrer Ausbildung auf den Umgang mit betagten Menschen im Praxisalltag und deren Bedürfnisse spezialisiert. Unter anderem haben Sie an der KABS (Klinik für Allgemein-, Behinderten- und Senio- renzahnmedizin) in Zürich gearbeitet. Woher kam das Interesse für diesen Fachbereich?

Tina Utzinger-Rentsch: Mich hat zu Beginn die Aussicht auf ein abwechslungsreiches Arbeitsgebiet, wie zum Beispiel die Prothetik, gereizt. Vor allem aber auch die psychologische Seite des Berufes: Ohne ein gewisses Einfühlungsvermögen und den richtigen Zugang zu den Patienten kommt man nicht weiter. Das war für mich persönlich spannend zu meistern. Die Herausforderung liegt zum Teil schon darin, dass der Patient den Mund überhaupt öffnet. Die Klinik für Alterszahnmedizin ist ein sehr interessantes Arbeitsumfeld. Heute gehört die Arbeit in Pflegeeinrichtungen zu meinem Berufsalltag.

Bettina von Ziegler und Tina Utzinger-Rentsch.
Setzen sich für eine altersgerechte Zahnmedizinein: Bettina von Ziegler und Tina Utzinger-Rentsch.

Gibt es für interessierte Studienabgänger ebenfalls die Möglichkeit, in solchen Pflegeeinrichtungen zu praktizieren?

Bettina von Ziegler: Rein theoretisch schon. Im Kanton Zürich darf ein Zahnarzt in einer Pflegeeinrichtung arbeiten, wenn er erstens eine kantonale Berufsausübungsbewilligung (BAB) hat, also in eigener fachlicher Verantwortung arbeitet, und zweitens der kantonalen Gesundheitsbehörde die Betreibung einer Filialpraxis meldet. Als Assistent wäre die Arbeit in einer Einrichtung zum Beispiel möglich, wenn man bei einem Zahnarzt eine Stelle findet, der solche Besuche durchführt. Ansonsten bieten sich die spezialisierten Kliniken für Alterszahnmedizin an den Universitäten an.

Utzinger-Rentsch: Ich würde allerdings empfehlen, zuerst in der allgemeinen zahnmedizinischen Praxis Routine zu erlangen, damit man sich sicher fühlt. Frisch ab Staatsexamen kann man mit zu viel Input schnell überfordert sein. Es ist schwierig, auf die Bedürfnisse alter und kranker Menschen einzugehen, wenn man gleichzeitig noch mit der Routine bei Füllungen und weiterem zu kämpfen hat. Wenn dann zusätzlich noch eine demente Person auf dem Stuhl sitzt, häufig auch kombiniert mit schlechtem oralen Zustand, dann kann es für einen Anfänger zu viel werden.

Von Ziegler: Es ist ganz normal, dass man sich am Anfang noch unsicher fühlt und sicher von Vorteil, seine Fähigkeiten unter «normalen» Bedingungen erst einmal zu festigen. Danach hat man auch die nötige Gelassenheit, um zum Beispiel mit einem dementen Patienten umgehen zu können.

Frau von Ziegler, Sie haben Patienten mit einer Demenzerkrankung erwähnt. Wo liegen die Herausforderungen bei diesen Patienten und was gilt es, bei ihrer Behandlung besonders zu berücksichtigen?

Von Ziegler: Es ist ein entschleunigteres Arbeiten und braucht viel mehr Zeit und Geduld. Nicht nur vom Zahnarzt, sondern vom gesamten Team. Die Patienten ermüden schneller, man muss länger erklären, mehrere Anläufe und eine eventuelle Verwirrung des Patienten beim Zeitmanagement berücksichtigen. Auch der Einbezug von Angehörigen oder Pflegenden ist essentiell. Zum einen fühlt sich der Patient in der Anwesenheit von Bezugspersonen sicherer und zum anderen sind Demente oft nicht mehr in der Lage, eine adäquate Mundhygiene durchzuführen. Die Pflegenden müssen dann eingehend instruiert und beraten werden, damit sie bezüglich der Mundhygiene des Patienten sensibilisiert sind. Denn abgesehen vom Wohlbefinden und der Schmerzfreiheit des Patienten spielt der orale Zustand eine wichtige Rolle bei der Allgemeingesundheit.

Wie sieht es bei der Therapieplanung von Patienten aus, die an Demenz erkrankt sind? Was ist bei der Versorgung langfristig zu beachten?

Utzinger-Rentsch: Die denkbar ungünstigste Situation ist es, als neue Therapie eine Totalprothese bei einem demenzerkrankten Menschen anzufertigen. Für den Patienten ist es schwierig, sich an den Fremdkörper und zum Beispiel an eine Gaumenabdeckung zu gewöhnen. Im besten Fall sollte ein «Umbau» deshalb schon frühzeitig, Schritt für Schritt, an die Hand genommen werden. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass die Versorgung so gestaltet wird, dass sie vom Patienten selbst oder vom Pflegepersonal so einfach wie möglich zu reinigen ist. Aufwendige Geschiebe sind fehl am Platz. Adaption und die Möglichkeit, die Prothese umzubauen, sind besonders wichtig.

Frau Utzinger-Rentsch, heute besuchen Sie in Ihrer Rolle als Zahnärztin regelmässig Pflegeeinrichtungen, betreuen vor Ort Patienten und instruieren die Pflegenden hinsichtlich der oralen Hygiene. Was ist der Vorteil dieses mobilen Konzepts?

Utzinger-Rentsch: Der Vorteil des Zahnarztbesuchs in den Pflegeeinrichtungen ist vor allem, dass sich das Pflegepersonal direkt an den Zahnarzt wenden kann, um Probleme zu besprechen oder Fragen zu beantworten. So bleiben zum Beispiel abgebrochene Klammern einer Prothese oder Unklarheiten bei der Reinigung nicht unentdeckt und können schnellstmöglich behoben werden. Der persönliche Kontakt ist von grosser Bedeutung und bleibt Einrichtungen ohne regelmässigen Zahnarztbesuch verwehrt.

Von Ziegler: Aus diesem Grund befürworten wir, dass jede Einrichtung regelmässig von einem Zahnarzt besucht wird. Der Kanton Graubünden nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und hat dies im Gesetz verankert. Dies ist ein grosser Fortschritt und sollte auch in anderen Kantonen umgesetzt werden. In der Schweiz hat aber jeder Kanton seine eigenen Gesundheitsgesetze, deshalb wird es auch nie für alle Kantone ein einheitliches System geben. Utzinger-Rentsch: Man sollte mindestens alle drei Monate in den Einrichtungen präsent sein. Dann ist auch die Hemmschwelle der Betreuenden und Patienten vor Ort geringer, sich mit Problemen und Bedürfnissen an den Zahnarzt zu wenden. Aufgrund meiner Besuche erhalte ich immer wieder E-Mails und kann so direkt koordinieren, wann ich wo gebraucht werde.

Gibt es, wie bei der Hilfestellung vor Ort, auch in Ihrer Praxis besondere Vorkeh-rungen, die den Umgang mit älteren und gebrechlichen Patienten erleichtern? Verwenden Sie spezielle Hilfsmittel?

Von Ziegler: Die zwei wichtigsten Hilfsmittel bei uns sind eine mobile Rampe für Patienten im Rollstuhl sowie ein spezielles, dreieckiges Stützkissen für Menschen, die in der Beweglichkeit eingeschränkt sind. Wobei diese Hilfsmittel universell einsetzbar sind. Auch ein erst Fünfzigjähriger kann es als unangenehm empfinden, den Nacken zu überstrecken, und wir haben das Kissen auch schon verwendet, um ein gebrochenes Bein hochzulagern.