Zähne – Zeitkapsel der Menschheit

Lisa Ewersbach
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Zähne in der Archäologie

Bisher wurde nur an der Oberfläche gekratzt: Nach neuen Forschungsergebnissen dienen die Zähne als stille Chronisten wichtiger Lebensereignisse - sie zeichnen bedeutende Episoden in geheimnisvollen, jahresringähnlichen Mustern auf, die im Zahngewebe verborgen sind.

Das Zahngewebe, das die Wurzeln bedeckt, das sogenannte Wurzelzement, ist vergleichbar mit Jahresringen von Bäumen. Sozusagen «Zahnringe». Ab dem Moment, in dem ein Zahn aus dem Zahnfleisch austritt, beginnt das Wurzelzement Schichten zu bilden. Genau wie bei Jahresringen wachsen diese Gewebeschichten kontinuierlich. Daher findet man noch viele Jahre nach dem Tod des Menschen Informationen über bestimmte Lebensabschnitte. Dazu gehören Fortpflanzung, systematische Krankheiten, Gefangenschaft, Umzüge vom Land in die Stadt und Ernährung.

Anhand der Untersuchung von drei Neandertaler-Milchzähnen, die ca. 40.000 Jahre alt sind, stellten Forscher interessante Details fest. Schon damals erhielten Kinder im Alter 5 oder 6 Monaten erstmals feste Nahrung. Damit unterscheiden sie nicht vom modernen Menschen. Weil Milchzähne sich bereits im Mutterleib bilden, kann die Zahnanalyse sogar etwas über die Ernährung und das Leben der Mütter vor der Geburt ihrer Kinder aussagen.

«Ein Zahn ist kein statischer und toter Teil des Skeletts» erklärt Paola Cerrito, Zahnanthropologin und Doktorandin am Department of Anthropology und College of Dentistry der New York University. «Er passt sich ständig an und reagiert auf physiologische Prozesse.» Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren werden die kontinuierlich wachsenden Zahnringe auf der Zahnwurzeloberfläche beleuchtet. Jede dieser Gewebeschichten wird mit verschiedenen Lebensabschnitten in Verbindung gebracht. Dadurch werden Zusammenhänge zwischen der Zahnbildung und anderen Ereignissen sichtbar.

Die Zahnanalyse gehört mittlerweile zum Standard-Repertoire bei der Untersuchung archäologischer Funde. Dabei untersuchen die Forscher chemische Elemente wie Strontium oder Kalzium, die in Knochen und Zähnen eingelagert werden. Im Gegensatz zu Knochen verändert sich Zahnschmelz nach seiner Bildung nicht mehr. Das bedeutet, dass die eingelagerten Stoffe dem Ort, wo er gebildet wurde – ergo dem Wohnort des Individuums, entsprechen.

Paola Cerrito erklärt, dass die Methode in der Archäologie eingesetzt wird, um beispielsweise Informationen über alte Zivilisationen zu erhalten. Denn das Zahnzement ist ein mineralisiertes Gewebe mit jährlicher Periodizität, das sich von der Zahnbildung bis zum Tod ablagert und somit fast das gesamte Leben eines Individuums umfasst. Aber auch in der forensischen Archäologie kann dieses Vorgehen Ermittlern helfen, mehr Details über nicht identifizierte menschliche Überreste herauszufinden.

In einer Studie analysierte Paola Cerrito mit ihrem Team Zähne von 15 verstorbenen Personen, die zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 25 und 69 Jahre alt waren. Diese Gruppe zentralafrikanischer Malawier wurde ausgewählt, weil neben den menschlichen Überresten auch Aufzeichnungen über die Lebensgeschichte dieser Menschen existieren. Einschliesslich Informationen über ihren Lebensstil und ihre medizinische Vorgeschichte. Die dokumentierten Lebensgeschichten, die grösstenteils Angehörige zur Verfügung stellten, wurden mit den zahnmedizinischen Überresten verglichen. Dabei entdeckte das Forscherteam, dass bestimmte Ereignisse unauslöschliche Spuren in den Zähnen hinterliessen: systemische Krankheiten, Inhaftierung und sogar der Umzug aus einer ländlichen Umgebung in ein städtisches Zentrum.

Wenn die Forschung weiter so rasante Fortschritte macht, könnten auch Wechseljahre, Geburtsmuster und Kindererziehung bei den ersten Menschen erforscht und analysiert werden, meint ein Team der New York University.