Rund 1,6 Millionen Erwachsene leben in der Schweiz mit einer Behinderung. 75 Prozent davon kämpfen mit körperlichen Einschränkungen. Für Menschen mit Behinderung ist ein Zahnarztbesuch mit zahlreichen Hürden verbunden. An der Jahrestagung der SSGS erzählte Anja Reichenbach, welche dies sind und wie Menschen mit Behinderung der Zahnarztbesuch erleichtert werden kann. Sie lebt mit einer progressiven Netzhauterkrankung, ist also stark sehbehindert. Durch den Alltag hilft ihr ein Blindenhund. Reichenbach ist im Vorstand von Sensability, einem Verein «von Menschen mit Behinderung für Menschen ohne Behinderung», der sich für Inklusion einsetzt.
Reichenbach wies zu Beginn auf die UNO-Behindertenrechtskonvention hin, in der festgehalten ist, dass auch für Menschen mit Behinderung ein Höchstmass an Gesundheit ohne Diskriminierung möglich sein muss. Die Gesundheitsversorgung sollte ihnen die gleiche Bandbreite und Qualität garantieren wie Menschen ohne Behinderung. Dies sei in der Schweiz noch nicht erreicht, so Reichenbach. Es gebe noch grosse Unterschiede, gewisse Behandlungen würden für Menschen mit Behinderung gar nicht angeboten. Dies, obwohl die Schweiz die Behindertenrechtskonvention 2014 ratifiziert hat.
Hürdenlauf in die Praxis
Ein Zahnarzt-Termin bedeute für sie vor allem Stress, erzählte Reichenbach. Nicht unbedingt, weil sie vor der Zahnbehandlung Angst habe, sondern vor allem wegen dem Weg bis zur Praxis. Anschaulich beschrieb sie den Parcours, den sie als stark Sehbehinderte von der Haustüre über ÖV bis zur Zahnarztpraxis absolviert. Wenn sie ankommt, kann sie nicht läuten, weil die meisten Klingelschilder nicht mit Blindenschrift angeschrieben sind. Reichenbach ruft deshalb jeweils in der Praxis an, um zu melden, dass sie nun vor der Türe stehe. «Wenn ich in der Zahnarztpraxis ankomme, bin ich meist schon fix und fertig». Etwas Zeit, um zur Ruhe zu kommen sei deshalb sinnvoll.
Um die Anreise zu erleichtern, seien Wegbeschreibungen mit auffälligen Wegpunkten hilfreich, zum Beispiel auch zur Beschaffenheit des Bodens: Ist die Strasse zur Praxis gepflastert oder geteert? Auch, ob die Praxis rollstuhlgängig ist, sollte im Idealfall auf der Webseite der Praxis erwähnt sein.