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Zahnpasta ohne Fluorid auf dem Vormarsch

Dr. med. dent. Lara Wüthrich
istock
Fluorid Zahnpasta

Unsicherheiten bis hin zu Verschwörungstheorien zum Thema Fluorid sind zurzeit im Trend. Eine sachliche Aufklärung der Patienten sollte durch den Zahnarzt erfolgen und nicht durch «Dr. Google».

Das Gesundheitsbewusstsein vieler Patienten befindet sich im Wandel – der Patient von heute ist informiert, kritisch und will eine Lebensweise, die der Umwelt und dem eigenen Körper keinen Schaden zufügt. Auch alltägliche Produkte wie Zahnpasta werden im Zuge dieser Entwicklung vom Konsumenten hinterfragt. Fluorid, Inhaltsstoff fast jeder herkömmlichen Zahnpasta, scheint zunehmend zu polarisieren.

Dass Fluoride durch direkten Kontakt mit den Zähnen Karies vorbeugen können, ist bekannt und durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt: Fluoride erhöhen den Widerstand des Zahnschmelzes gegen Säuren, verlangsamen dessen Entkalkung durch säurebildende Plaque-Bakterien und fördern die Remineralisation des Schmelzes. Auch die SSO empfiehlt deshalb den Gebrauch von fluoridhaltigen Mundhygiene-Produkten, darunter die tägliche Verwendung von Fluoridzahnpasta.

Fluorid ist nicht gleich Fluor

Häufig wird leider Fluorid mit Fluor gleichgesetzt, ein hochreaktives und giftiges Element. Fluoride sind Salze des Fluors und weitgehend ungefährlich – vorausgesetzt Fluorid wird nicht überdosiert, was insbesondere in Ländern mit erhöhtem Fluoridgehalt im Trinkwasser vorkommen kann. In der Schweiz wird dem Trinkwasser kein Fluorid beigesetzt und eine Vergiftung ist bei sachgerechter Anwen- dung fluoridhaltiger Mundhygiene-Produkte aufgrund der geringen Fluoridmenge kaum möglich. Auch für Langzeitschäden an Knochen, Zähnen und Zirbeldrüse infolge fluoridhaltiger Zahnpasten gibt es keine Belege.

Fluorid-Kritiker stellen die zahnspezifisch positive Wirkung der Fluoride in Frage und fürchten vermeintlich negative Langzeitfolgen einer unnatürlichen Fluorideinnahme. Im Umgang mit solchen Patienten gilt es, dasThema vorsichtig anzugehen. Insbesondere, wenn sich die Befürchtungen massgeblich auf «Dr. Google» stützen. Werden kritische Patienten nicht ernst genommen, oder aber versucht man sie vehement und mit einer Selbstverständlichkeit von ihren «Irrtümern» zu befreien, erreicht man nicht selten das Gegenteil: das Vertrauen in die Fachperson geht verloren und der Patient fühlt sich in seinen ursprünglichen Annahmen vermutlich bestärkt.

Stellt der Zahnarzt fest, dass ein Patient fluoridlose Zahnpasta verwendet, fragt er am besten nach dem Weshalb und stimmt die nachfolgend beratende Aufklärung auf die individuelle Situation ab. Patient: «Ich wusste gar nicht, dass diese Zahnpasta kein Fluorid enhält bzw. dass Zahnpasten Fluorid enthalten sollten – meine wirbt einfach mit natürlichen Zutaten und biologischer Herstellung.» Hier reicht meist ein kurzes, aufklärendes Gespräch. Zudem gibt es im Reformhaus auch biologische, vegane, silikonfreie Zahnpasten mit Fluorid, beispielsweise von «Sante Naturosmetik».

Bei Homöopathie Behandlungen muss oft auf Menthol verzichtet werden. Das Sortiment an fluoridlosen Zahnpasten ohne Menthol ist relativ gross, weshalb während Homöopathie-Behandlungen häufig auf solche zurückgegriffen wird. Auch hier gibt es Alternativen wie beispielsweise «elmex® mentholfrei».

Patient: «Ich habe gehört, dass Fluorid nicht so gut sei.» Ein ausführlicheres Informationsgespräch kann bei diesen Patienten viele Vorurteile, Missverständnisse und Ängste aus dem Weg räumen. Die Aufklärung sollte einfühlsam und behutsam erfolgen.

Patient: «Fluorid ist ein Gift, das schwerwiegende Langzeitschäden nach sich ziehen kann. Deshalb verzichte ich um jeden Preis darauf.» Ein einzelnes Gespräch wird hier die Wenigsten vom Gegenteil überzeugen. Idealerweise kann der Patient mehrmals vorsichtig auf das Thema angesprochen werden. Der Zahnarzt sollte jedoch nicht missionarisch wirken. Beste Voraussetzung, um Vorurteile in dieser Situation abzubauen, ist ein gut etabliertes Vertrauensverhältnis und – je nach Patient – kann eine Prise Humor helfen.

Es ist wichtig, dass der Zahnarzt zum Thema Fluoride fundierte Aufklärungsarbeit leistet. Das nötige Fachwissen hierzu wird im zahnärztlichen Grundstudium vermittelt. Bezüglich Kommunikation mit kritischen Patienten sollte nebst dem fachlichen Inhalt auf folgende Punkte besonderen Wert gelegt werden.

Auch Zahnärzte können «Dr. Google» nutzen

Nicht selten haben kritische Patienten die ersten Internetseiten zur Suchanfrage «ist Fluorid schädlich?» durchgelesen. Möchte man kritischen Fragen gefasst und nicht überrascht oderbelustigt begegnen, hilft es, zu wissen, mit welchen Ängsten, Unsicherheiten und Verschwörungstheorien sich Fluorid-Kritiker im Netz beschäftigen. Das wirkt entwaffnend.

Botschaft: «Ich kann verstehen, dass Sie die Informationen im Internet beunruhigen. Das Gute vorweg: Fluorid ist nicht gefährlich. Bei Fluoriden handelt es sich um Salze der Fluorwasserstoffsäure. Diese sind nicht zu verwechseln mit dem elementaren Fluor, einer hochgiftigen, gasförmigen Substanz. Von fluoridhaltigen Mundpflgeprodukten ist bei korrekter Anwendung keine Giftigkeit zu erwarten.»

Patienten ernst nehmen

Manchmal wird man mit vermeintlichen Fakten konfrontiert, die sich jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entziehen. Nichtsdestotrotz sollte man als kompetente Fachperson den Patienten und dessen Ängste ernst nehmen, auch wenn man diese nicht nachvollziehen kann. Fühlt sich ein Patient nicht ernst genommen, ist das Vertrauen weg und die Kommunikation sehr schwierig.

Botschaft: «Es ist gut, dass sie mich über mögliche Langzeitfolgen von Fluorid ansprechen. Tatsächlich gehören Fluoride zu den weltweit am gründlichsten untersuchten Stoffe. Wegen ihrer schützenden Wirkung für die Zähne werden Fluoride bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts angewendet, um Karies vorzubeugen. Seit den 1960er-Jahren ist der Kariesbefall bei Schweizer Schulkindern um 90 Prozent zurückgegangen. Der Hauptgrund dafür ist der Einsatz von Fluoriden.»

Sachliche Aufklärung

Wissenschaftlich fundierte Fakten sollten dem Patienten in verständlicher, individuell ange- passter Form erklärt werden. Insbesondere kritische Gemüter werten eine genaue Erklärung von komplexen Sachverhalten positiv und lassen sich durch Floskeln oder allgemeine Aussagen nicht abspeisen, wie beispielsweise: «Das können sie mir glauben.» / «Es ist einfach klar, dass Fluorid in Zahnpasten gut ist, deshalb sollten sie diese auch benutzen.»

Dem Patienten die Wahl lassen

Die Rolle des Zahnarztes liegt bei der Wahl der Zahnpasta in beratender bzw. aufklärender Funktion: er kann den Patienten über Vor- und Nachteile verschiedener Produkte und deren Inhaltsstoffe informieren und dabei helfen, im undurchsichtigen Dschungel der Mundhygiene-Produkte die Übersicht zu behalten. Sich für ein Produkt entscheiden, es kaufen und dann auch benutzen, muss jeder Patient selber. Kritische Patienten wissen es oft zu schätzen, wenn genau das im Gespräch verdeutlicht wird und nicht etwa ein Produkt aufgedrängt wird.

Botschaft: «Ich würde ihnen aus den vorher genannten Gründen ans Herz legen, fluoridhaltige Zahnpasten zu benutzen – aber der Entscheid liegt natürlich bei Ihnen.»

Mit behutsamer Aufklärungsarbeit und einer Arzt-Patienten-Beziehung, die auf Vertrauen basiert, kann der Zahnarzt die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta massgeblich fördern. Welche Zahnpasta schlussendlich wirklich im Badezimmerschrank steht, entscheidet jedoch nach wie vor der Patient.